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Der Süden Irans empfängt uns mit offenen Armen. Auf zum Persischen Golf.

  • von Alicia
  • 19 Apr., 2020
Wir fahren den Westen entlang, dicht an der Grenze zum Irak, in Richtung Süden. Die kalten Tage liegen hinter uns – ebenso die Schneeberge. Als wir irgendwann unterwegs am Straßenrand in einer kleinen Stadt zum Mittagessen halten, streife ich mir unter den Blicken neugieriger Passanten die klobigen Wanderschuhe ab, rufe meinen Socken in Gedanken „auf Nimmerwiedersehen“ zu und schlüpfe seit Monaten das erste Mal wieder in meine heißgeliebten offenen Sandalen. Der Freiheit, die meine Zehen ab heute zu spüren bekommen, muss mein Haar allerdings nach wie vor weichen. Obwohl die Temperaturen mittlerweile viel zu warm sind, trage ich noch immer ein Kopftuch, ein sogenanntes Hidschab, weil es hierzulande Gesetz ist.
Auf zum Persischen Golf.
Nach einer guten Portion Reis und einem Kebab-Spieß (ein Hackfleisch-Spieß) – in allen Teilen des Landes stets garniert mit einer gegrillten halben Zwiebel und einer gegrillten halben Tomate – fahren wir zum Persischen Golf. Die Füße erleben heute einen Glückstag. Wir tauchen sie nach dem für uns ziemlich harten Winter im Kaukasus Schritt für Schritt in warmen Sand, bis wir das Meerwasser erreichen und den ersten Hautkontakt unseres Lebens mit dem Persischen Golf haben.
Als Nächstes geht es für uns zur nahegelegenen Küstenstadt Buschehr – unser Ziel für die nächsten Tage. Einmal mehr merken wir dort: Es ist nahezu unmöglich, im Iran nicht auf neugierige Einheimische zu treffen. Aber auch auf andere Reisende wie wir es sind, die über Land um die Welt reisen. So machen wir die Bekanntschaft mit zwei französischen Pärchen, mit denen wir den Abend in einer Sportsbar in Buschehr verbringen. Eigentümer der Sportsbar ist Farshid, der sich voll und ganz dem Gastgeben verschrieben hat und eine kleine Oase speziell für Überland-Reisende anbietet. Mit frischgepresstem Saft, kleinen Snacks und einem Frühstück am nächsten Morgen – mitsamt europäischem Espresso und Cappuccino – werden wir in Gänze verwöhnt. Alles auf selbstloser "Zahl-was-du-willst-Basis", die wir eingeführt haben, weil Farshid eigentlich nichts dafür haben wollte. Gekrönt wird unser Aufenthalt dort nur noch von einer Sache, deren Auftreten (weil eben zu selten) inzwischen zu einem erfreulichen Highlight mutiert: eine ordentliche Dusche!
Ein toller Besuch in der "Sportsbar Stadium" in Buschehr.
Mit leckeren Snacks und gutem Cappuccino.
Gastgeber Farshid in seinem Element.
Frisch geduscht schlendern Tim und ich nach dem Treffen unserer neuen Bekanntschaften am späten Abend noch über die Promenade am Meer, die gerade erst aufzublühen scheint. Die sengende Hitze des Tages hat sich gelegt, die Menschen sind aus ihrer Siesta erwacht und gehen all dem nach, was tagsüber bei der heißen Luft unmöglich scheint. Vor allem aber genießen sie ihre Freizeit an jenem Vorabend des wöchentlichen heiligen Freitags, wenn nach den tobenden Donnerstagabenden alle Läden geschlossen bleiben. Die Wiese ist voll von Picknick-Decken, aus dem Auto nebenan ertönt laut persische Hip-Hop-Musik. Für uns aufgrund der Lautstärke nicht der beste Platz zum Übernachten, aber zum Schlafen kommen wir vorerst ohnehin nicht. Als wir nach unserem Spaziergang nämlich zurück zum Scudo kommen und bei geöffneter Schiebetür dem Treiben draußen weiter lauschen, dauert es nicht lange, da gesellt sich eine fünfköpfige Gruppe von Mädchen im Teenageralter zu uns an die Tür und durchlöchert uns mit Fragen zu uns als Person, dem Land, aus dem wir kommen, zur Religion, was wir beruflich machen und noch viel mehr. Sie alle tragen ein Tschador, ein großes schwarzes Tuch, das schwer um den ganzen Körper wie auch um den Kopf jedes einzelnen Mädchens gehüllt ist, und signalisieren damit eine ihrer Religion verbundene Frömmigkeit.
Neugierige Blicke in unseren Scudo an der Promenade in Buschehr.

Die Anwesenheit der Mädchen um unseren Scudo lässt auch andere Passanten neugierig werden, sodass sich immer mehr Personen zu uns an die Tür trauen. Was folgt, ist ein Marathon des Ausfragens und des Selfieschießens. Einer nach dem anderen bittet uns um zahlreiche Fotos zur Erinnerung. „Das muss ja schrecklich sein, ein Superstar zu sein“, flüstere ich schmunzelnd zu Tim herüber, der gerade immer mehr in den Fokus des Interesses rückt und jedem Selfie-Wunsch nachzukommen versucht. Die Menschen sind freundlich, neugierig und froh über unseren Besuch. Es ist eine Mentalität, die noch Monate später ein astreines Vorbild für zahlreiche Ländervergleiche bilden wird, an denen wir unsere Aufenthalte in den Ländern, die wir bereisen, unweigerlich messen. Ja, der Iran ist einmalig.

Nachdem die letzten Selfies geschossen sind und die Menschentraube um unser Auto sich allmählich auflöst, drängt sich Omid noch an unsere Schiebetür. Seine guten Deutschkenntnisse imponieren uns, seine Leidenschaft für den deutschen Fußball überrascht uns. Wir treffen hier auf einen regelrechten Deutschlandfan. Nach einem netten Pläuschchen mit ihm tritt das in der iranischen Luft schwebende Gesetz der allgegenwärtigen Gastfreundschaft auf’s Neue in Kraft. Wir nehmen seine Einladung an, morgen bei ihm und seiner Mutter zu Mittag zu essen.

Um 12 Uhr am nächsten Tag, nachdem wir ein sensationelles Frühstück bei Farshid einnehmen durften, werden wir lückenlos wie ein Stab beim Staffellauf weitergereicht. Diesmal also an Omid. Wir treffen ihn an der Strandpromenade, dort wo wir ihn gestern kennenlernten, und fahren gemeinsam zu seinem Haus. Auch sein Freund Milad wird heute mit uns essen. Als wir ankommen, lassen wir, wie es sich im ganzen Land gehört, unsere Schuhe vor der Tür stehen und treten barfuß ins Haus und auf den komplett mit rotgemustertem Teppich ausgelegten Boden. Wir sind direkt im Wohnzimmer, welches mit einer offenen, gut ausgestatteten Küche verbunden ist und dennoch durch eine Theke räumlich getrennt wird. Auf der Theke steht ein mittelgroßes rundes Glas, ein Aquarium, in dem ein kleiner Goldfisch seine Kreise zieht. Der zeitweilige Besitz eines Goldfisches ist im Iran eine langjährige Tradition, die hinsichtlich des anstehenden Jahreswechsels (im Iran am 20. oder manchmal am 21. März) das Leben symbolisiert. „Den anderen haben wir schon seit dem letzten Jahreswechsel“, sagt Omid stolz, als mein Blick auf den zweiten Goldfisch fällt, der in einem anderen runden Glas seit nunmehr einem Jahr seine Kreise zieht.

Wir überreichen unser Gastgeschenk, das wir am Vorabend gegen Mitternacht noch spontan für heute besorgt haben, und werden gebeten, uns auf den Boden zu setzen. Ein paar Kissen im orientalischen Design verhelfen der Gemütlichkeit im Rücken. Als Vorspeise serviert Omids Mutter jedem einzelnen von uns je einen kleinen Teller mit frischem, ungeschnittenem Obst und je ein dazugehöriges Messer. Omid ist sichtlich erfreut über unseren Besuch in seinem Haus und erzählt uns alles Mögliche, was ihn in seinem Land bewegt und was er an Deutschland so viel besser findet als am Iran. Wir sprechen darüber, dass die wirtschaftliche Lage im Iran unter anderem aufgrund der stetig steigenden Inflation sehr schlecht steht und er es mit dem Geschäft seiner Receiver und Elektroartikel nicht leicht hat. Omid importiert die Ware aus Dubai, um sie im Iran zu verkaufen. Unvermittelt muss ich an die Schmuggler denken, denen wir auf dem hohen schneebedeckten Bergkamm zwischen dem Irak und dem Iran begegnet sind und die ihre Elektrogeräte hierzulande unter schwierigen Bedingungen an den Mann zu bringen versuchen.

Wie fast überall auf den persischen Teppichen dieses Landes, wird auch hier bei Omid zuallererst eine hauchdünne Wegwerf-Plastikfolie auf dem Boden ausgelegt. Auf jener Folie werden Schüsseln mit Reis, mit drei Fischgerichten und anderen persischen Leckereien serviert.

Omid, Tim und Milad (v.l.n.r.).

Wir lassen uns alles schmecken, bevor es zum Nachtisch Datteln und gesüßten schwarzen Tee gibt. Jeden Bissen genießen wir in vollen Zügen und sind froh, jenseits des allgegenwärtigen Kebabs drei sensationelle einheimische Gerichte probieren zu dürfen. Dabei kommen wir an einen Punkt, an dem wir glauben, das Maß an Gastfreundschaft sei erreicht; großzügiger versorgt könne man uns nach dieser Begegnung nicht weiterziehen lassen, denken wir. Und liegen damit völlig falsch, als es Zeit ist, sich zu verabschieden:

Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. So wohl wie wir uns auch fühlen, so dankbar wie wir sind – es ist Zeit zu gehen. Nachdem also das Mittagessen verschlungen, die letzten Datteln vertilgt, das Mundstück der Wasserpfeife von Omids Mutter einmal durch die Runde gereicht wurde und die Gespräche geschlossen wurden, verabschieden wir uns. Bevor wir jedoch die Straße verlassen, möchte Omid uns noch seinen Elektrowarenladen zeigen.
Ein Abschiedsfoto mit Omids Familie und Freunden.

Wir fahren also in den Elektrowarenladen von Omid und schauen uns in diesem kleinen Raum um, der nur aus verpackten Elektrogeräten und anderen Kartons besteht. Omid hebt eins von den großen Paketen eines namhaften Küchengeräteherstellers an und drückt es Tim geradewegs in die Arme: „Das ist mein Geschenk für euch!“ Tim und ich gucken uns ratlos an, verstehen die Situation zunächst nicht. "Nehmt das mit. Als mein Geschenk für euch!“, bekräftigt er seinen Entschluss. Er will uns allen Ernstes einen Küchenmixer schenken. Einfach so. Weil wir seine Gäste waren. Diese Geste verschlägt uns die Sprache. Wir ringen um die richtigen Worte, ihm zu sagen, wie glücklich wir uns über dieses Geschenk schätzen, dass wir es aber nicht annehmen können. Es dauert eine Weile, bis er einsieht, dass wir für diesen Mixer weder Platz im Scudo noch die elektronische Kapazität haben. Und so müssen wir ihn leider dort lassen.

Mit einem letzten Blick auf die Stadt Buschehr, deren charismatische Eigentümlichkeit über die Grenzen hinaus von einem großen Kernkraftwerk in den Schatten gestellt wird, verlassen wir die Stadt entlang der Küste in Richtung Osten.

Die Landschaft raubt uns wie immer durchgehend den Atem. Zu unserer Rechten leuchtet das türkisblaue Meer und macht sich wunderbar mit der sandbeigen, wüstenartigen Steppenlandschaft und ihren kargen Bergen zu unserer Linken.
Schöne Momente am Persischen Golf. Einer unserer Übernachtungsplätze.
Ein Vergleichsbild: Derselbe Platz wie oben mit weniger schönen Momenten am Persischen Golf.

Ihren Höhepunkt erreicht unsere Euphorie über all das, was wir hier sehen, als wir wie aus dem Nichts ein paar Dromedare herrenlos neben der Straße entlangschlendern sehen. Die Chance lassen wir uns nicht entgehen, halten am Straßenrand und knipsen ein paar Fotos von den für uns so seltenen Tieren. Plötzlich reißt uns ein alter Pinzgauer (ein österreichisches Militärfahrzeug) aus unserer Schwärmerei, indem er neben uns auf der leeren Landstraße hält. „Schönes Auto!“, ruft uns der Fahrer auf Englisch zu. Ich blicke verwirrt um mich, frage mich, wo das Fahrzeug plötzlich herkommt und sehe nach einem genaueren Blick zwei Jungs im Auto sitzen. Wie sich herausstellt, sind David und Jan zwei Deutsche, die – genau wie Tim und ich – mit ihrem alten Wagen um die Welt fahren. Und die beiden tun dies aus einem tollen Grund: Sie fahren in der Welt herum, um unterwegs mit ihrem mobilen Zirkus, die Kinderaugen dieser Welt zum Strahlen zu bringen. Schau mal rein: www.gohappy-circus.com.

Jan und David laden uns auf einem Kaffee ein, den sie uns auf einem beliebigen Platz am Persischen Golf mit ihrer Außenküche zubereiten. Wir servieren dazu unsere Walnüsse und tauschen uns über all die Erlebnisse aus, die inzwischen für jeden von uns in besondere Erinnerungen übergegangen sind. Nach dem Kaffee beschließen wir, die heutige Nacht gemeinsam am Meer zu campen und bei einem Lagerfeuer u.a. ein iranisches alkoholfreies Malzbier zu trinken.

Ein schöner Übernachtungsplatz lässt hier in der Natur am Persischen Golf nicht lange auf sich warten. Wir machen es uns gemütlich und bereiten alles für das Abendessen vor (Schaschlikspieße à la Armenien und Salat). Die Jungs treiben ein paar alte Holzscheite aus den ertragsarmen Winkeln dieses Platzes auf und so verbringen wir anschließend einen schönen Abend am Lagerfeuer bei angenehm warmen Abendtemperaturen... Bis die altbekannte Instanz wieder auf uns wilde Camper aufmerksam wird: das Militär vom Grenzschutz. Die Prozedur ist uns inzwischen mehr als vertraut. Wir geben routiniert unsere Pässe ab, die vor unseren Augen streng nach dem gültigen Visum durchgesehen werden. „Alkohol?“, fragt einer der Beamten unterdessen in unsere Runde. „No!“, antwortet Jan völlig souverän und ich suche nervös mit den Augen die Plastikflasche, die hier irgendwo herumliegen muss. Den Inhalt dieser Flasche (selbstgebrannter „iranischer Whisky“, den die Jungs mal als Geschenk eines ihrer Gastgeber bekommen hatten) haben wir gerade eben noch, bevor das Militär bei uns eingetroffen ist, freundschaftlich geteilt. Ein Kapitalverbrechen in diesem Land, obwohl der Alkoholkonsum im Iran fast so allgegenwärtig ist wie der Gang zur Moschee – solange er hinter verschlossenen Türen den Weg in die Mägen seiner Genießer findet. Erlaubt ist es dennoch nicht. Nachdem die Kontrolle beendet ist, erzählt Jan auf meine Frage nach der Flasche, dass er sie, kurz bevor der Grenzschutz eintraf, wieder versteckt hat. "Gut so", denke ich.

Es ist inzwischen spät, die Stimmung durch das Militär ohnehin etwas lädiert, sodass wir beschließen, schlafen zu gehen. Tief in der Nacht, dort wo eigentlich die Träume unseren Schlaf beeinflussen sollten, erscheinen Motorgeräusche, die sich langsam ins wachwerdende Bewusstsein schleichen. "Bitte nicht schon wieder", denke ich, als ich die Augen öffne und draußen Licht erkenne. Wie ein unwillkommenes Déjà-vu kommt nun, was kommen muss. Ungeduldig klopft es an der Tür. Tim schiebt sie nach mehreren aggressiven Aufrufen schließlich müde auf und blickt zuerst in das Gesicht eines Mannes so um die 40. Dann erscheint ein Mann mit schwarz vermummtem Gesicht aus dem dunklen Hintergrund. Tims Blick fällt weiter auf eine Kalaschnikow. Es scheint wirklich ein Déjà-vu zu sein. Mit dem Unterschied, dass die Stimmung bedrückend negativ ist. Der vermummte Mann fordert Tim brüllend und aufgebracht auf, herauszukommen und macht mit seiner AK-47 eine herauswinkende Bewegung, als traue er seinem eigenen Gebrüll nicht die nötige Autorität zu. Es ist nicht das erste Mal, dass wir unter ähnlichen Umständen wachgeklopft werden. Aber dieses Mal scheint der Trupp außer sich vor Verärgerung und Tim allmählich nervös. „Alicia“, beginnt er ernst, „schließ die Tür ab, wenn ich draußen bin", und geht schließlich hinaus. "Ja sicher", denke ich ironisch, "als ob ich dir damit jetzt den Zugang zu mir versperre. Kommt nicht infrage." Ich lasse sie unabgeschlossen und lausche angespannt den lauten Anklagen, die für mich auf Farsi keinen Sinn ergeben. Minuten vergehen. Ich verstehe kein Wort von dem lauten Gebrüll draußen, höre Tim lange Zeit nichts sagen und überlege, auch herauszukommen. Ich weiß nicht, worum es geht und werde nervöser. Und dann vergehen wieder Minuten in Stille. Niemand spricht. Fünf Minuten, zehn oder gar zwanzig? Ich weiß es nicht einmal mehr, will mir schnell die Schuhe überstreifen und herauskommen. Da wird die Tür von außen aufgeschoben und Tim steht in der Öffnung. „Wo warst du so lange? Was ist da draußen los? Was wollen die?“, flüstere ich beunruhigt. „Das ist wie immer das Militär“, versucht Tim mich zu beschwichtigen. „Sie haben eine angekokelte iranische Flagge gefunden und mich ausgefragt, ob wir das gewesen sind. Ich glaube, die waren ziemlich sauer.“ - „Ja, das war kaum zu überhören. Und was ist sonst passiert? Es war so lange still…“

Dann erzählt Tim mir die Geschichte in Kürze:

Der vermummte, sichtlich aufgebrachte Soldat hielt ihm die halb verbrannte Flagge hin und muss auf Farsi etwas gebrüllt haben wie: „Wer war das? Wart ihr das?“ Tim zuckte mit den Schultern, konnte jedoch erahnen worum es gehen musste und schüttelte dem Schulterzucken bekräftigend den Kopf. Die Sprachbarriere führte dazu, dass die Beamten hier nicht an die Informationen kamen, die sie haben wollten. Daraufhin folgte der lange Moment der Stille, der mir im Auto unerträglich erschien. Es war die harmlose, stille Kommunikation über die ins Smartphone eingetippten Sätze in die Übersetzungsfunktion. Weiterhin wurde Tim gebeten, den Beamten in ihren Pick-up zu folgen. Die halb verbrannte Flagge wurde auf die Ladefläche des Fahrzeuges geschmissen. Dieses Thema war erledigt. Im Pick-up saßen sie zu dritt wie eingepfercht, während ich im Scudo wartete und weiterhin draußen nichts hören konnte. Der lange Moment der Stille. Sie fragten Tim aus über uns, die Orte, an denen wir waren, unsere Route und schrieben alles händisch auf. Kurz darauf sollten – wie immer – unsere Pässe kontrolliert werden. Um sie zu holen, verließ Tim den Pick-up und ging zu mir herüber, öffnete die Tür und stand wieder vor mir.

„Wo warst du so lange? Was ist da draußen los? Was wollen die?“ Ja, es war also das Militär, das uns nun kontrolliert. Inzwischen ist es weit nach Mitternacht. Routiniert überreicht Tim die Pässe und auch hier wird alles händisch notiert. Unterdessen entfacht einer der Soldaten unser ausglühendes Lagerfeuer. Als der offizielle Teil erledigt ist, wird Tim freundlich zum Feuer gebeten. Ich liege längst wieder beruhigt und dösend im Bett. Was für Tim folgt, ist ein nettes Beisammensein, das er zu Beginn der Situation so nie vorauszusehen vermochte. Als existierte der anfängliche Groll des Vermummten nie gegen uns, als läge die angebrannte Flagge nicht auf der Ladefläche des Pick-ups, als hätte man sich zum Picknick verabredet, als wären sie alte Kumpels sitzen sie gemeinsam am Feuer, teilen ihren heißen Chai (schwarzen Tee) mit Tim und ihre einzige Portion Makkaroni, die einer der Vermummten in einer Mehrwegbox für seine Nachtschicht mitgebracht hat. Nichts ist mehr von Belang. Keine Ahnung, wer die Flagge angezündet hat, jetzt interessiert es auch niemanden mehr. Der spannende Teil für uns ist beendet, allerdings fängt er für die iranischen Beamten erst richtig an: "Wie ist das Leben in Deutschland?", "Was verdient man dort?", "Was ist dein Beruf?", wollen sie neugierig wissen… Tim beantwortet geduldig all ihre Fragen am Lagerfeuer und erzählt, was sie hören wollen. Und was ist unterdessen überhaupt aus unseren deutschen Freunden im Pinzgauer geworden? Glaubt nicht, dass sie diese Nacht verschlafen hätten. Für die beiden fängt der Spaß an, nachdem Tim entlassen wird. Die Ablöse sozusagen – gegen 3 oder 4 Uhr nachts. Hier findest du ihre Geschichte zu dieser Nacht: https://www.gohappy-circus.com/2019/06/23/iran-teil-4-fasa-darab-lar/
Unser Camp am nächsten Morgen.


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