Das Leben in Freiheit ist so lebendig wie bequem. Wir erleben, sehen und staunen viel, aber dennoch sitzen wir viel – im Scudo, also Zuhause, mit Blick auf die zurzeit einfach nicht untergehende Sonne hier in Nordeuropa.
Unser
Reisealltag in Schweden sah bisher so aus, dass wir viele kleinere Strecken von
Ort zu Ort gefahren sind. Oft ans Wasser, damit Tim uns, wie er fast jeden
Abend voller Vorfreude prophezeit, „heute endlich einen Lachs“ angelt :-). Dieser
lässt zwar auf sich warten, aber bisher hatten wir zumindest mal Hecht und
Barsch zum Abendessen. Und so haben wir das Leben an diesen schwedischen
kleinen Örtchen, mit diesen schwedischen Holzhäuschen, an diesen schwedischen,
erfrischenden Seen einfach in Freiheit genossen.
Aber irgendwann haben wir auch genug gechillt. Es ist an der
Zeit, mal etwas Außergewöhnliches zu erleben, vielleicht ein Abenteuer? Das
muss sich Tim in etwa gedacht haben, als unser Gespräch darüber, ob wir den
Sarek Nationalpark bewandern oder nicht, mit seinen Worten „Ich hab' mich ja kaum
getraut dich zu fragen, aber sollen wir das machen?“ begann. Für einige Tage
haben wir die Idee sacken lassen und sind dann doch noch zu dem Entschluss
gekommen, ein paar Tage in den Sarek Nationalpark zu wandern. Und – um kurz zu
spoilern – das war eine sehr gute Entscheidung!
Los geht’s! Wir kommen an der Fjällstation in Kvikkjokk (Schwedens Lappland) an, suchen in der Karte nach einer geeigneten Route, machen eine Packliste und bereiten alles vor. Am nächsten Tag nach dem Mittagessen geht es los. Mit unseren 35 Liter Rucksäcken auf dem Rücken und unseren Wanderstöcken gewappnet befinden wir uns irgendwann auf einem Trampelpfad in Richtung Sarek. Dort, wo sich das Parte-Massiv befindet, wollen wir hin. Aus „Freiheit so lebendig wie bequem“ schwindet jetzt erst einmal die Bequemlichkeit und es bleibt das pure Leben.
Am ersten Tag folgen wir einem vollkommen falschen Pfad. Geht ja schon gut los. Wir kämpfen uns durch Gestrüpp und stellen fest: Mit Wandern hat das hier wenig zu tun. Fünf Stunden später schlagen wir unser erstes Nachtlager in „Mückenhausen“ auf. So etwas haben wir noch nicht erlebt. Allein am Knie zähle ich rund 20 Mücken, am Rücken sehe ich's zum Glück nicht. Wo sind wir denn bitte hier gelandet? Zumindest besteht noch genug Energie und Motivation, ein Lagerfeuer zu machen. Morgen wird es hoffentlich besser.
Der zweite Tag bricht an. Wir haben gestern tatsächlich einen halben Tag verloren, indem wir irgendwo durch eine verbotene Zone gewandert sind, auf der Suche nach einem Pfad, den es nie gab. Wir wären fast durch einen stark strömenden Fluss gefurtet, weil wir dachten, dass das so Sinn und Zweck dieses Gestrüpp-Abenteuers ist. Aber da spätestens auf der anderen Seite des Flusses auch keine Spur eines Wanderpfades in Sicht war, haben wir die Karte nochmal eingehend studiert, uns beratschlagt und schließlich die Erleuchtung bekommen, dass wir auf einer völlig falschen Spur waren. Also zurück und nochmal von vorne…
…Wir haben unseren Pfad gefunden, gehen nicht den Kungsleden, weil das der einfachere „Touri-Wanderpfad“ ist. Wir wollen etwas mehr Herausforderung–erst recht nach gestern–und gehen zum Parek, also in den Sarek Nationalpark rein. Unser Proviant reicht für fünf bis sechs Tage, diese Zeit reicht aber nur, um den Sarek anzukratzen. Man muss schon zwei Wochen einplanen, um in die Tiefen des Sarek einzutauchen und eventuell mal einen Braunbären zu sehen. Dort, in der letzten Wildnis Europas, soll es sie in freier Wildbahn geben, aber es grenzt schon an ein Wunder, mal etwas mehr Leben als nur Vögel oder ab und an andere Wanderer zu sehen.
Einmal müssen wir einen Fluss furten, damit war zu rechnen, aber dieser Fluss ist noch lange nicht so wild wie der Fluss, den wir am ersten Tag zu furten gedachten. Das Wasser ist eiskalt, aber alles noch im Rahmen des Machbaren – solange keiner von uns jetzt ins Wasser rutscht. Als die Etappe geschafft ist, wandern wir den Rest des Tages weiter. Jeder sinniert für sich über das Leben oder was auch immer. Ab und an essen wir ein paar Nüsse, teilen uns einen Mate-Tee und abends gibt es ein Reisgericht am Feuer.
Die letzten paar Kilometer wandern wir am nächsten Tag in großer Vorfreude auf unser warmes, winddichtes Zuhause. Hach…für den kleinen Scudo, dieses Zuhause auf so engem Raum, haben wir eine neue Wertschätzung erlangt – jetzt, da wir im Vergleich zum Leben in einem Camper für einen kurzen Moment eine größere Extreme erlebt haben. Und das Fazit? Wir würden es jederzeit wieder machen – einfach mal ausbrechen. Ob, wie ursprünglich, aus Deutschland oder aktuell aus dem Scudo…Freiheit…ist nichts, das man hat, sondern etwas, das man tut.