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Vom fließenden Wein und georgischen Feierlichkeiten - Georgien

  • von Alicia
  • 02 Dez., 2018
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Am Tag unserer kleinen Abschiedsfeier in Georgien

Das ist schon fast ein Phänomen im Land des Weines. Dort, wo die Weintrauben wachsen wie Unkraut, ist der Hobbywinzer nicht weit. In Georgien macht gefühlt jeder seinen eigenen Wein. Aber auch seinen eigenen Chacha (Traubenschnaps) oder z.B. seinen eigenen Käse. Alles absolut natürliche Produkte wie man uns immer wieder ganz stolz erzählt. Irgendwie ist jeder sein eigener Produzent von irgendetwas. Oder sein eigener Bauer. Die Märkte sind voll von Obst, Gemüse und allem, was das Bioherz begehrt.

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Es ist, als sei Georgien der Bauernhof der Welt. Überall im Land grasen die Kühe oder Schweine nicht nur auf der Weide, sondern am liebsten wie es scheint am Straßenrand. Nicht selten werden sie dabei auch zum Verkehrsteilnehmer – oder zum -hindernis.

Hier in Georgien finden wir die schönsten, gesündesten Kühe, die wir je gesehen haben; hier schmecken wir den salzigsten Schafskäse, den wir je probiert haben und den süffigsten Wein, mit dem unser Gaumen je in Berührung gekommen ist. In diesem unglaublich gastfreundlichen Land kommen wir mehr als nur einmal in den Genuss der traditionellen, georgischen Leckereien - vor allem des in rauen Mengen fließenden Alkohols.

Auf Genussartikel wie Alkohol haben wir ja lange verzichtet, um unseren Reisegeldbeutel zu schonen. Hier in Georgien allerdings holen wir ganz im Zeichen der Gastfreundlichkeit die vergangenen Monate in Abstinenz wohl schneller wieder auf als uns lieb ist. :-)

Cognac am See (Ananuri)

Den ersten spontanen Umtrunk erleben wir an einem See in Ananuri, als wir dort für einige Tage campen. Unerwartet geraten wir in einen Feiertag, den auch unzählige andere Einwohner Ananuris nutzen, um ihren freien Tag am See bei gutem Wetter zu verbringen. Von rechts bringt man uns Wassermelone, von links noch mehr Wassermelone und Chatschapuri (eine Art Fladenbrot mit Käsefüllung). Wir sind jetzt schon begeistert von diesen gastfreundlichen Gesten. Später stoßen drei angeheiterte Jungs zu uns, die ihre letzten paar Hiebe Cognac, den sie in einer Mineralwasserflasche aus Plastik verwahren, mit uns teilen wollen. Mit Plastikgläsern stoßen wir an und lernen hier zum ersten Mal das georgische Wort für Prost – Gaumarjos – anzuwenden.

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Chacha am Fluss (Alazani)

Den zweiten spontanen Umtrunk erleben wir am Fluss Alazani, als wir nach unserer gescheiterten ersten Fahrt nach Omalo wieder ein paar Tage länger campen. Hier ist es wunderbar ruhig und idyllisch. Ab und an streift ein unverdrossener Angler unser Camp. Wir tauschen einen höflichen Gruß gegen ein freundliches Nicken und jeder macht mit dem weiter, womit er aufgehört hat. Einen Tag später, am Sonntagabend, kommen drei Angler in der Abenddämmerung bei uns vorbei. Ein Alter und ein Vater mit seinem elfjährigen Sohn. Beim Vorbeigehen gibt der Alte Tim ein Zeichen, mit ihnen mitzugehen, um etwas zu trinken. Zunächst lehnt Tim ab, dies wird aber nicht akzeptiert. Er geht schließlich mit und lässt sich überraschen.

Mit einem halben Liter selbstgebranntem Chacha kommt Tim wieder zurück. Ich probiere dieses obstlerartige Getränk und kann nur widerwillig schlucken. Da ich an diesem Abend für Tim also keine nützliche Gesellschaft bin, um diese Flasche zu leeren, lädt er die Männer zum Umtrunk an unserem Lagerfeuer ein. Während der Fisch, den sie uns schenken, am Stock über dem Feuer gart, lernen wir zum ersten Mal die georgische Tiefsinnigkeit des Zuprostens kennen. An diesem Abend wird nicht einfach getrunken. Mit jedem Schluck wird auf etwas Besonderes angestoßen. Zunächst auf die deutsch-georgische Freundschaft, dann auf die georgischen Traditionen, außerdem auf Mutter Natur, später auf alle Eltern und abschließend auf alle Frauen dieser Welt. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass diese Form des Anstoßens hier Gang und Gäbe ist. Es bedurfte noch einiger Feierlichkeiten, um das erst einmal zu lernen.

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Wein am Meer (Sugdidi & Anaklia)

Nachdem wir unseren dritten spontanen Umtrunk während des Geburtstages von unserem Freund Dima erleben, geht der vierte Umtrunk, der mit „Wir nehmen nur ein Glas, und dann verschwinden wir wieder“ begann, in ein großes Highlight über.

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Der Tisch wird gerade noch gedeckt zu Dimas Geburtstag.

Wir kommen gerade in Anaklia an, einer Stadt direkt am Schwarzen Meer. Hier wollen wir für zwei Tage mal wieder die Seele baumeln lassen und kurz der öden Warterei auf Scudos Autoteile entfliehen. Mit unseren Rucksäcken bepackt schlendern wir durch die Strandpromenade, die wie ausgestorben wirkt. Man merkt, die Sommersaison ist vorbei. Das warme Wetter interessiert hier nicht, die Bordsteine werden hochgeklappt, sobald der Sommer endet. Vielleicht hat dieser Strand aber auch insgesamt völlig ausgedient, denn viele der Strandbuden und -hütten scheinen schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Betrieb zu sein.
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Einzig eine Strandhütte am Meer ist beleuchtet und belebt. Rund vierzig Männer und zwei Frauen sitzen bei Wein, Chatschapuri, gekochten Wachteln, eingelegtem Gemüse und Käse am Tisch. Wir werden herbeigerufen.

-        „Sollen wir hingehen?“

-        „Ich weiß nicht, lass uns mal schauen.“

-        „Ja, wir schauen kurz. Aber nicht all zu lange.“

Für uns wird Platz gemacht, Teller geholt und Plastikbecher serviert, in die unmittelbar der Weißwein fließt. Wir prosten unseren Sitznachbarn zu und floskeln in deren gebrochenem Englisch und unserem gebrochenem Russisch so mit ihnen herum (die russische Sprache ist in Georgien ein gebräuchliches Überbleibsel aus früheren Sowjet-Zeiten). Wie wir erfahren, sind wir hier auf der Betriebsfeier der Küstenwache/Feuerwehr gelandet, die anscheinend das Saisonende feiert.
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Es wird ein Toast gehalten. Der Redner steht auf und erzählt mit ernster Miene. Alle hören gespannt zu. Auch wir, selbst wenn wir nichts verstehen, aber das muss jetzt der Teil sein, wo wieder auf tiefsinnige Dinge angestoßen wird. Das kennen wir ja inzwischen – auch von Dimas Geburtstag. Anschließend wird der Plastikbecher in einem Zug geext – so wie bei Dima auf dem Geburtstag. Ich bevorzuge die Variante, wie die Franzosen ihren Wein genießen, peu à peu, aber kriege dennoch immer wieder nachgeschenkt, sobald auch Tim seinen leeren Becher wieder aufgefüllt bekommt.

-        „Nach diesem Wein gehen wir aber.“

-        „Ja, den trinken wir noch aus, dann war’s das auch.

Unmöglich! Dieses Gespräch führen Tim und ich ungefähr fünf Mal an diesem Abend, aber austrinken geht einfach nicht. Aus irgendeinem Grund ist der Becher immer voll und der Wein erstaunlich süffig. Gut gesättigt horchen wir den weiteren Toasts, die immer länger und ernster werden. Der eine steht auf und spricht. Minutenlang erzählt er etwas, das uns danach in einem Satz mit „Jetzt trinken wir auf die Verstorbenen“ übersetzt wird. Dann steht einer vom gegenüberliegenden Tisch auf und es hört sich an, als würde er ernst dagegen argumentieren. Aber da auch er seinen Becher Wein am Ende hebt, wird das wohl auch eine Toastrede sein.

Unsere Tischnachbarn verabschieden sich. Kurz darauf setzt sich uns ein weiterer Mann gegenüber und zählt uns stolz alle deutschen Vokabeln auf, die er kennt. Nachdem er fertig ist und wir auch mit ihm ein wenig smalltalken, geht er wieder zu seinem Platz. Der nächste setzt sich uns gegenüber und zählt mit den Händen die Zahlen 1-10 auf Deutsch auf. So ungefähr muss sich Speed-Dating anfühlen, denke ich, als sich uns dann der dritte gegenübersetzt und seine Kenntnisse über den deutschen Fußball präsentiert.

Allmählich drehen sich die Gespräche zwischen Tim und mir nicht mehr darum, dass wir nach diesem Wein verschwinden, sondern wann wir unsere Toastreden halten. Der georgische Zaubertrank entfaltet langsam aber sicher seine Kraft. Inzwischen wurden etliche Reden auf uns und die deutsch-georgische Freundschaft gehalten, sodass wir uns revanchieren und bedanken wollen. Zu dieser Stunde dient ein abgeschnittenes Flaschenende als Kelch der Freundschaft. Ich kriege ihn gefüllt mit Wein in die Hand und lasse meinen Worten vor versammelter Mannschaft ihren Lauf – auf Russisch, da der Wein meinen armseligen Russischkenntnissen plötzlich Vollkommenheit verleiht. Nachdem ich den „Kelch“ geleert habe – französische Gepflogenheiten interessieren jetzt nicht mehr –, ist Tim an der Reihe. Er hält seine Toastrede, die wesentlich länger ausfällt als meine, auf Deutsch und leert seinen Teil des Weines. Es folgt ein tosender Applaus, wir fühlen uns wie Stars und krönen dieses Gefühl zur späteren Stunde noch mit einem Duett des polnischen Volksliedes Hej Sokoły. Die Stimmung ist auf ihrem Höhepunkt, aber das letzte Fünkchen unserer Vernunft lässt und wissen: Heller werden eure Lampen heute nicht mehr glühen. Also verabschieden wir uns unauffällig. Wir schultern unsere Rucksäcke und gehen unseren Weg entlang der beleuchteten Strandpromenade, die in diesem Augenblick einem Tunnel gleich kommt. Am Ziel angekommen, bauen wir das Zelt auf und schlummern beim Rauschen des Meeres gegen 23:30 Uhr ein.
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Einige Wochen später in Anaklia

Wir haben es in Georgien so erlebt, dass das öffentliche Alkoholtrinken meist Männersache ist. Demnach hat auch Tim noch seine eigenen Geschichten erlebt, als er zum Beispiel um 11 Uhr vormittags mit einem Polizeichef zwei Hochprozentige trinken sollte. Wir hatten die Nacht auf dem Hof der Polizeistation verbracht, weil man unseren Platz am Abend zuvor auf einem Feld für unsicher hielt. Also wurden wir zum Revier eskortiert. Am nächsten Morgen, kurz bevor wir loswollten, dann das Angebot. „Ich muss doch aber gleich fahren“, bemerkte Tim. „Kein Problem, bei Touristen ist das kein Problem", entgegnete der Polizeichef auf Deutsch und hob sein Glas. That's Georgia :-)


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