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Ein Ausflug in die Autonome Republik Abchasien - Georgien

  • von Alicia
  • 29 Jan., 2019

Es geht los. Wir überqueren die lange Brücke, die die Grenze zwischen Georgien und dem Konfliktgebiet Abchasien markiert. Eigentlich galt Abchasien lange als Teil Georgiens – bis sich die Region in unlängst vergangenen Kriegen ihre Unabhängigkeit erkämpfte oder vielmehr zurückkämpfte. Die Geschichte des Unabhängigkeitsstreits um Abchasien reicht bis in die Antike und wurde zuletzt erst im Jahr 2008 erneut brutal ausgefochten.

Wir schlendern mit unseren Rucksäcken also über die Brücke, an einem Mahnmal vorbei, das einen Revolver aus der Richtung Georgiens in Richtung Abchasien abbildet. Der Lauf der Waffe ist jedoch zugeknotet und nach oben gen Himmel gerichtet, was sicherlich den aktuellen Waffenstillstand symbolisieren soll. Ein Waffenstillstand, aber noch lange keine Einigung.

Aus diesem Grund wird vom Auswärtigen Amt davon abgeraten, in die Konfliktregion Abchasien zu reisen. Wären da nicht diese kleinen Eigenschaften, die wir beide inzwischen in uns tragen; diese Neugier, Abenteuerlust und vor allem die immer größer werdende Erkenntnis, dass die fremde Welt und ihre Menschen im Einzelnen eigentlich nicht so schlecht oder gefährlich sind wie ihr Ruf, stünden wir in diesem Moment nicht vor dieser Waffe. Was uns erwartet wissen wir nicht. Auf ins Abenteuer Abchasien!

Das Visum schon längst in der Hand haben wir dennoch an der Grenze auf dem stümperhaften Parkplatz mit uns gehadert, ob wir rübergehen sollen. Grund dafür war, dass wir Scudo nicht mitnehmen durften. Ihn hier mindestens eine Woche unbewacht stehen lassen? Direkt neben dem Hundekadaver, dessen Verwesungsgeruch in alle Himmelsrichtungen zu ziehen schien? Die Stimmung war nicht sehr euphorisch, aber zu verlockend die Tatsache, dass wir eine Genehmigung hatten und eigentlich ja in diese Region einreisen durften. „Genau! Deshalb machen wir das jetzt. Wann hat man schonmal so ‘ne Chance?“ Der Rucksack war mit den nötigsten Dingen in weniger als 15 Minuten gepackt und los ging es am späten Nachmittag.

Als wir schließlich das andere Ende der Brücke erreichen, werden wir streng von russischen Soldaten kontrolliert, die ihrer Arbeit in interimsmäßigen Containern umzäunt von Stacheldraht nachgehen. Unter den Augen der streng dreinblickenden Soldaten passieren wir endlich den letzten Schritt der Grenze und sind in Abchasien angekommen. Auf der Suche nach einem Bus in Richtung Sochumi, der Hauptstadt der Autonomen Republik Abchasien, werden wir schnell von einer kleinen Menschentraube bestehend aus einzelnen Taxifahrern umringt. Ein Bus fährt um diese Uhrzeit am späten Nachmittag nicht mehr, heißt es. Wir haben schon die Menschen in Georgien als sehr ehrlich, hilfsbereit und nicht link empfunden, also glauben wir auch den Taxifahrern in Abchasien, dass hier kein Bus mehr fährt und blättern unsere 100 georgischen Lari (ca. 30 €) für diese - für unsere aktuellen Verhältnisse sehr teure - Taxifahrt hin. Die Fahrt dauert irgendetwas zwischen einer Stunde und eineinhalb. Eigentlich ist das Zahlungsmittel hier der russische Rubel. Wir haben Glück, dass wir die Taxifahrt noch mit Lari bezahlen können, denn das Geld haben wir noch nicht wechseln können.

Wir kommen gegen 19 Uhr in Sochumi an und sind beide schon jetzt erstaunt darüber, wie modern die Hauptstadt ist. Modeboutiquen reihen aneinander und werden höchstens mal von einem modernen Restaurant wie dem hippen Burgerladen, in dem wir seit langem mal wieder auswärts gewohnt westlich essen, unterbrochen.

Okay, man darf sich nun auch keine Top-Metropole vorstellen. An vielen Ecken sieht man viele leerstehende Häuser, Ruinen, Überbleibsel aus Sowjet- wie aus Kriegszeiten. Jedes Land hat sicherlich seine Geschichte, aber in der Region Abchasien scheint alles noch so präsent. Wie ein Museum, durch das man geht. Nur, dass es sich um ein "Land" handelt, das gerade einmal von fünf anderen Staaten der ganzen Welt anerkannt wird.

Ganz besonders in der kleinen Stadt Nowy Afon ist diese Geschichte zu spüren. Nach drei Tagen in Sochumi sind wir dort schließlich (diesmal mit dem Bus) hingefahren. Von den wenigen Sightseeing-Spots, die Abchasien zu bieten hat, tummeln sich gefühlt 70% davon in Nowy Afon. Auf Anhieb ist es für mich ein kleines Paradies. Eine Mischung aus Palmen, Bananenbäumen, Zypressen und anderer Flora verteilt sich in der ganzen Stadt – um den Park, der wie aus Kolonialzeiten entsprungen scheint; um die Kathedrale, die mit ihren goldenen Kuppeln und ihrem prominenten Platz auf einem Hügel gelegen dem Rest des Ortes etwas heroisches verleiht. In unmittelbarer Nähe rauscht das Schwarze Meer, das im Rücken viele grüne Berge und Hügel trägt. Die Landschaft hält mit Sicherheit einige versteckte Wanderrouten bereit, die nur die wenigstens deutschen Touristen sich entlang zu wandern trauen. Denn das Auswärtige Amt rät ja davon ab! Im Moment denken wir überhaupt nicht an die Aussagen aus dem Internet. Pudelwohl fühlen wir uns – trotz des Regens, trotz der nassen Füße, der kalten Unterkunft in einem Gasthaus ohne Heizung und Licht. Wie freundlich und warmherzig wir von der Gastgeberin aufgenommen wurden, ist in diesem Moment um einiges mehr wert: Es zeigt uns, dass Abchasien nicht schlimm ist; dass viele Klischees z.B. in Sachen Kriminalität, die wir von Georgiern über diese Region gehört haben, einfach nicht stimmen. So ist zumindest unsere Erfahrung.

An einem verregneten Tag besuchen wir in Nowy Afon die Anakopija-Festung. Wir feiern unseren Aufstieg mit einer kurzen Fotosession im Regen, genießen die graue, aber schöne Aussicht und wandern wieder herunter. Am Fuße der Festung sehen wir zufällig das Schild, das zur sogenannten „Stalin-Datscha“ führt, Stalins ehemalige Sommerresidenz. Hier beginnt eines unserer kleinen Abchasien-Highlights. Wir laufen hin mit unseren vor Nässe schmatzenden Schuhen. Als wir ankommen sehen wir vor uns eine große Einfahrt und einige Palmen. Alles sehr chic. Rechts steht ein beleuchtetes Haus, aus dem Menschen heraustreten, mittig ein weiteres unbeleuchtetes Haus und zu unserer Linken, nicht ganz in Sichtnähe, eine unbewohnte Ruine – gar nicht so nobel wie erst gedacht. Wir wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, wie die Datscha aussieht, welche von den drei Gebäuden unser gesuchtes Objekt ist, aber aus irgendeinem Grund entscheiden wir uns für die Ruine und gehen hin. Es dämmert bereits, die Tür steht offen. Ein Blick in den Flur mit der Taschenlampe reicht, um dieses Haus als potentielle Kulisse für einen gruseligen Horrorfilm auszumachen.
Wie zwei Jugendliche, die gerade dabei sind eine Mutprobe zu absolvieren, tut jeder einen kleinen Schritt in Richtung Flur, als plötzlich eine einäugige Katze auftaucht. Ununterbrochen miaut sie uns irgendetwas zu. Wir zögern wieder. „Das ist wie in so einem schlechten Thriller jetzt mit der Katze...“, flüstere ich zu Tim. Noch ein paar Schritte, die Katze wird ignoriert. Mittlerweile stehen wir mitten im Flur, zu unserer Linken sehen wir eine verschlossene Tür, aus der wir jetzt plötzlich Stimmen vernehmen. „Da läuft ein Fernseher“, sage ich zu Tim und schiebe die Frage nach, ob hier wohl jemand hausiert. Draußen wird es immer dunkler. Wir schießen ein paar „Beweisfotos“ für diese Mutprobe und gehen schnell wieder aus diesem Geisterhaus. Kaum haben wir die Schwelle erreicht, geht die Tür auf, aus der wir die Stimmen vernommen haben.
Ein Mann mit schwarzer Lederjacke tritt hinaus, aber sein Lächeln könnte freundlicher nicht sein. Das wird wohl der Wächter dieser Ruine sein. Er begrüßt und erklärt uns auf Russisch, dass wir diese Ruine nicht betreten dürfen. Scheinbar hat er unsere Mutprobe zuvor nicht bemerkt. Wir nicken brav und fragen nach der Stalin-Datscha. „Kommt mit, dort drüben!“, signalisiert er uns – immer noch mit diesem breiten Lächeln im Gesicht. Wir folgen ihm zum gegenüberliegenden Haus.

Als wir eintreten, nimmt uns Vadim in Empfang, dessen Worte „Kommt rein, legt eure nassen Rucksäcke ruhig dort ab“ den ganzen Raum mit einer Schnapsfahne zu füllen scheinen. „Ihr könnt euch hier alles angucken“, sagt er. Ungläubig gucken Tim und ich uns an und beratschlagen uns. „Ich hab meinen Pass und mein ganzes Hab und Gut im Rucksack. Meinst du, wir können das hier einfach so liegen lassen?“ - „Ich weiß auch nicht. Ob der wohl Geld dafür will?“ Wir können kaum auf unsere eigenen Fragen antworten, stehen wir schon in Stalins Speisesaal.

Wir dürfen uns tatsächlich alles kostenlos und in Ruhe anschauen, Fotos machen und sind zudem die einzigen Besucher in diesem Museum. Als wir zum Foyer zurückkehren, das eingerichtet ist wie ein Wohnzimmer, stehen für uns schon Gläser mit Wein und Chacha (Traubenschnaps) bereit. So wie wir es schon von Georgien gewohnt sind, wird auch hier Gastfreundlichkeit groß geschrieben. Wir stoßen ein paar Runden an, bevor der Tag endet.

Lange bleiben wir nicht, draußen ist die pure Dunkelheit inzwischen eingebrochen. Wir signalisieren, dass wir losmüssen, aber Vadim, der Wächter der Stalin-Datscha (und dessen Schnapsfahne logischerweise nicht milder wird, während er mit uns trinkt), möchte uns nach seinem Feierabend in 15 Minuten zu unserer Unterkunft fahren. Sehr freundlich, aber seinem Atem nach zu urteilen, könnte das nicht gut für uns enden, sind Tim und ich uns einig. Kurzerhand landen wir trotzdem in seinem weißen Lada, der aussieht, als hätte er die ganze Sowjet-Zeit überstanden und doch erst 20 Jahre alt ist. Sicherheitsgurt? Dass ich überhaupt noch danach suche…. Erst gestern hatte uns eine Frau etwa in meinem Alter für einen kurzen Lift zu unserem Hostel mitgenommen und als ich den Gurt suchte, um mich anzuschnallen, sagte sie wie selbstverständlich: „Nie nada!“, und machte eine wegwerfende Handbewegung. Okay, ich musste also darauf vertrauen, dass ihre Fahrkünste und die aller anderen Verkehrsteilnehmer (von denen wahrscheinlich jeder Zweite nicht ganz nüchtern ist) sooo gut sind, dass es nie nada ist, also nicht nötig, sich anzuschnallen. Augen zu und durch. So überleben wir also auch die Kamikazefahrt von Vadim in seinem weißen Lada, der uns, wie auch die junge Dame, glücklicherweise sicher zu unserem Ziel bringt.

Wohlbehalten sind wir nach einer Woche Abchasien auch wieder über die Brücke, an dem übergroßen Revolver vorbei auf dem Parkplatz angekommen, auf dem unser Scudo unversehrt und friedlich auf uns und das nächste gemeinsame Abenteuer wartete. Und das ließ nicht lange auf sich warten. Abchasien hat das Interesse an diesen kleinen Fleckchen Erde, die offiziell irgendwie nicht existieren, geweckt. Somit ging es als nächstes ungeplant nach Armenien – die erste spontane Planänderung unserer Reiseroute.

Weitere Eindrücke aus Abchasien:


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