Die Temperaturen während unseres ersten Besuchs in Armenien im November (im Februar würden wir noch einmal durchfahren, weil wir nicht über Aserbaidschan in den Iran kommen) sinken allmählich. Unsere Standheizung wird immer mehr zu unserem persönlichen Hauptprotagonisten in diesem hohen Land, aber insgesamt drei Mal suchen wir in der Hauptstadt Jerewan auch ein billiges Hostel auf, um mal warm zu duschen und die Wäsche zu waschen.
Überall in der Stadt wimmelt es in der Vorweihnachtszeit von kitschigen, bunten Weihnachtslichtern und zum Verkauf stehenden Plastiktannenbäumen. Wir decken uns mit etwas Weihnachtsschmuck für Scudo ein, bevor es weiter geht nach Khndzoresk. Auf dem Weg dorthin werden wir in eine dicke Nebeldecke gehüllt. Scudo kämpft sich durch sie hindurch und findet schließlich den Weg über eine getrocknete Schlammpiste zu einer Hängebrücke, die wir besichtigen wollen. Die Hängebrücke soll aus irgendeinem Grund eine Attraktion darstellen. Viel sehen wir aufgrund des Nebels nicht, laufen dennoch ein bisschen auf dem rostigen Gitterboden herum, um an diesem grauen Tag zumindest etwas zu erleben. Einige Tage später treffen wir in einem Hostel in Jerewan auf einen deutschen Mittelalterforscher. Wir smalltalken etwas und er gibt uns einige weitere Besichtigungstipps, u.a., dass in Khndzoresk nicht die Hängebrücke die eigentliche Attraktion des Ortes ist, sondern die vielen Höhlenbehausungen, die teilweise noch bis in die 80er Jahre von Menschen bewohnt waren, bevor sie dort vertrieben wurden. Armenien ist klein, also fahren wir noch einmal hin – bei besserem Wetter. Tatsächlich erwarten uns unzählige Höhlen in einer unvergleichlichen Bergkulisse. Auch das Kloster darf in diesem Höhlendorf nicht fehlen. Erstaunlich, wie der Nebel diesen faszinierenden Ort vor uns verbergen konnte.
6,00 € kostet uns das Visum pro Person. Als wir an der
Grenze zum sogenannten Schwarzen Garten ankommen, schenkt uns ein Grenzbeamter
drei Früchte. Äußerst freundlich wie wir finden und so verlaufen auch alle neun
Tage, die wir in Artsach verbringen. Das Wetter scheint auf uns zwar sauer zu
sein, aber wir machen das Beste aus unserem Trip durch diese Konfliktregion,
die sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan umworben wird – gelinde
gesagt. Armenien hat den Krieg um Bergkarabach/Artsach zuletzt gewonnen. Immer
wieder gibt es jedoch kleinere, gegenseitige Anschläge, bei denen Menschen nach
wie vor ums Leben kommen. Solche Geschichten hören wir in einer Bar in
Stepanakert, der Hauptstadt von Artsach. Azad, der Besitzer der Kneipe, trägt
stolz sein T-Shirt mit der englischen Aufschrift seines Landes: Artsakh. Hier
ist man stolz auf seine Region, auf sein Land. Man hat es sich erkämpft.
Dennoch beteuern Azad und sein Freund, der beim Militär arbeitet, dass die
Menschen in Bergkarabach des Krieges müde sind. Vor allem die jungen Menschen. An
den Wänden der Bar hängen internationale Andenken anderer Reisender, die sich
hier her verirrt haben sowie mehrere Bilder von Eric Clapton mit der Aufschrift
„Eric Clapton is God!“
Diese ranzige, alternative Bar gefällt uns auf Anhieb. Nicht wir haben sie gefunden, sondern sie uns. Azad und seine Freund haben unser kleines Camp am Straßenrand zufällig gefunden und uns auf ein paar Bier eingeladen. Auf dem Herd im Scudo kochte gerade heißer Kakao für uns, den wir uns ganz im Sinne der Vorweihnachtszeit zu einem Lumumba anreichern wollten. „Können wir auch morgen trinken“, meint Tim und so folgen wir den Jungs ins „Bardak“, wie die Bar heißt.
Unter den vielen Augen Eric Claptons sitzen wir also und unterhalten uns über Gott und die Welt. Azad ist begeisterter Kletterer und kennt alle sehenswerten Spots in Artsach. Er zeigt uns einige Punkte auf der Karte, die wir unbedingt besuchen sollten – u.a. eine heiße Quelle und eine kleine Wandertour durch eine Schlucht, über deren Abgründen sich zwei Ethnien einst befeuert haben. Am anderen Tisch sitzen auch einige andere Gäste. Die Gruppe von Mädels, die soeben noch zu Coco Jambo getanzt hat, verlässt gerade die Bar und keine Stunde später öffnet sich die Tür erneut. Zwei Italiener, Vater und Sohn, ein Amerikaner aus New York, eine Tunesierin und eine Armenierin kommen herein. Die Italiener haben hier in Artsach eine Textilfirma gegründet, alle anderen arbeiten beim Roten Kreuz der Schweiz als Entwicklungshelfer für diese Konfliktregion. Wir erfahren in dieser Nacht allerhand über die Arbeit in der Entwicklungshilfe; über die diplomatische Arbeit zwischen zwei Parteien, die sich nicht einig werden können und die psychotherapeutische Arbeit für Familien und Menschen, die einen großen Verlust oder traumatisierende Zustände verkraften mussten.
Dieser Abend im Bardak hat einen kleinen Zauber inne mit interessanten Gesprächen und eindrucksvollen Geschichten. Einige Drinks später geht jeder wieder seinen Weg. Diese kleine Gruppe von Menschen löst sich auf. Auch wir gehen „nach Hause“, auf den Innenhof der Bar, wo wir stehen dürfen.Auf offiziellen Weltkarten ist Bergkarabach bzw. Artsach übrigens nicht als armenischer Landesteil gekennzeichnet. Die Region ist immer auf aserbaidschanischer Seite zu finden, da die einst autonome Region von keinem einzigen Land der Welt anerkannt wird. War man einmal in Artsach, wird man überdies niemals mehr nach Aserbaidschan einreisen dürfen, solange der Konflikt anhält oder die Regeln sich nicht ändern. Wenn man es jedoch geschickt anstellt, kann man dieses Verbot umgehen, indem man sich z.B. das Artsach’sche Visum in Jerewan nicht in den Pass kleben lässt. Dort ist man sehr entgegenkommend…